So Gedanken

Vom Handschlag träumen

Flieder

Ich sah es ganz genau. Es brauchte nicht mehr viel, bis dem Landratspräsidenten der Geduldsfaden reissen würde. Doch der Redner liess sich durch die immer klarere und missbilligende Körpersprache des Sitzungsleiters nicht beirren. „Es kann doch nicht sein, dass in unserer Gesellschaft für einzelne Gruppierungen Regeln nicht gelten, die zu den Grundwerten unserer Kultur zählen“. Ernstes, gewichtiges Kopfnicken einiger seiner Ratskolleginnen und –kollegen bestärkten ihn darin, mit seinen Ausführungen weiter zu machen. „Gerade die Gleichberechtigung von Mann und Frau sind einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Pfeiler unserer westlichen demokratischen Kultur. Der Leitkultur, die auch im unserem Kanton, unserem Baselbiet gilt.“

Nicht schon wieder Therwil
„Stopp! Stopp!“ Nun hatte der Präsident genug gehört. Vehement schwang er sein Ratsglöcklein und unterbrach mit seinem Gebimbel den Redefluss des Gesellschaftskulturkämpfers. „Nicht schon wieder das Thema „Therwil“. Das beschäftigte uns doch schon in den letzten Sitzungen zur Genüge. Alle, die dazu etwas zu sagen hatten oder es immerhin meinten, konnten dort ihre Vorstösse und Voten einbringen. Da gibt es in unserem Rat zurzeit nichts mehr zu diskutieren. Dieses Thema ruht nun bei unserer Bildungsdirektorin.“

Der Redner liess sich damit aber nicht zum Schweigen bringen. „Nein, mein lieber Präsident. Sie missverstehen mich. Ich rede nicht von den zwei störrischen Schülern, die in Therwil ihrer Lehrerin den Handschlag verweigern. Mir geht es um die zwei Bürgergemeinden in unserem Kanton, die ihren Bürgerinnen nicht die Hand reichen und ihnen seit Jahren die Ausübung ihrer Bürgerrechte verbieten. Die Frauen werden am wichtigsten Ereignis des Bürgerjahres – dem Banntag – als nicht würdig erachtet, daran teilnehmen zu dürfen. Einzig beim Auskurieren der Banntagskater ihrer Ehemänner ist ihre Hilfe zugelassen.“

Schwarze Schafe gibt es überall
Lautes Gemurmel machte sich im Landratssaal breit. „Offenbar muss es in Sissach und in Liestal den Verantwortlichen entgangen sein, dass ihre Gepflogenheiten schon lange nicht mehr mit unseren Baselbieter Prinzipien und Ordnungen kompatibel sind. Auch der Landrat, als oberster Wächter über die Einhaltung der gesellschaftlichen Grundwerte sowie der bürgerlichen Rechte und Pflichten in unserem Kanton, hat es offenbar bisher übersehen, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Ich fordere deshalb, dass der Regierungsrat ein neues Bürgergesetz ausarbeitet. Dieses soll alle Bürgergemeinden dazu verpflichten, allen ihren Bürgerinnen und Bürgern die Ausübung sämtlicher Bürgerpflichten und die Wahrnehmung aller Bürgerrechte zu garantieren.“

Gerade jetzt, wo es spannend wurde, holte mich das penetrante Piepsen meines Weckers aus meinem Traum auf die Matratze der Realität zurück. Ich hörte nur noch knapp aus der Ferne, dass jemand in den Ratssaal rief: „Braucht es dann für alles ein Gesetz? Wo bleibt unsere Freiheit?“

Schon wieder am Träumen?
Ich setzte mich auf die Bettkante, rieb mir die Augen und wunderte mich über die abstrusen Geschichten, die man so träumen kann, wenn die Nacht lang ist. Nach einigen Sekunden entwirrten sich bei mir allmählich Traum und Realität.

Nein, ein solches Gesetzt braucht es sicher nicht! Zu wichtig sind uns Baselbieterinnen und Baselbietern Freiheit und Gleichberechtigung. Auch in Sissach und Liestal wird es ihnen wie Schuppen von den Augen fallen. Wir leben ja in der Vorzeigedemokratie Schweiz, im freiheitlichen Baselbiet und erst noch im Jahr 2016. Also nicht mehr im Mittelalter.

Das wird sich doch sicher ändern. Ist doch logisch… oder bin ich nun schon wieder am Träumen?