So Gedanken

Eskalierende Identitätskrise

Reservation

 

Wer bin ich überhaupt? Wozu bin ich auf und in dieser Welt? Aha, werden einige Schlaue nun denken. Den hat es erwischt. Klarer Fall. Midlife-Crisis. Der hat sicher schon alles erreicht im Leben und nun die grosse Leere. Schöne Frau, topgescheite und gutgelungene Kinder, grosse Villa, Superjob im Finanzbereich und für den Rest des Lebens ausgesorgt.

Alles erreicht?

Zwar eine naheliegende Beurteilung, aber sicher falsch. Jedenfalls in einzelnen Punkten. Erstens bin ich schon fleissig daran, dem eigentlichen Krisen-Zielpublikum altersmässig zu entfliehen. Dann liegt zweitens für mich die Midlife-Crisis-Problemlösung schon seit einigen Jahren pfannenfertig bereit. Erprobt durch einige meiner mittelalterlichen und männlichen Kollegen und Freunde: Da muss ein richtiger Töff her. Nicht einfach ein Motorrad – und sicher kein Roller. Nein, eine funkelnde, kraftstrotzende Maschine im vierstelligen Kubikbereich. Da wäre man wieder jemand, nach dem sich alle umdrehen würden, auf den man mindestens selber stolz sein könnte.

Mein Doppelgänger Walti

Aber drittens ist das Problem viel komplizierter. Es reicht nicht, dass ich schon seit Jahren regelmässig mit meinem Doppelgänger – nennen wir ihn Walti – verwechselt werde. Manchmal ist die Verwechslung offensichtlich und ich kann sie im Ansatz sofort klären. Dann gibt es aber Leute, mit denen führe ich die interessantesten und engagiertesten Gespräche, bis ich plötzlich merke, die sprechen ja gar nicht mit mir. Die sprechen mit Walti. Aber auch damit habe ich in all den Jahren langsam aber sicher leben gelernt.

G-R-Ö-F-L-I-N

Genug ist aber genug. Bröblin oder Bräblin soll ich nun heissen. Dabei hat meine Frau am Telefon den Namen klar und deutlich artikuliert. G-R-Ö-F-L-I-N. G wie Gustav, R wie Radrennen, Ö wie Öffentlicher Verkehr, F wie Fritz, L, I, N. GGRRÖÖÖFFLIN! „Alles klar“, tönte es am anderen Ende der Leitung. „Der Tisch wird reserviert. Bis morgen, Frau Bröblin“.

Einen gewissen Stolz darf man haben

Gräflein, Gräflin, Wölflin, Gröslin, Rösslin, Rösli. Mit all diesen Namen lebe ich schon lange und gut. Aber nicht BRÖBLIN! Man darf doch noch einen gewissen Stolz haben.

Einfach Peter

Wenn schon niemand meinen Familiennamen erkennen oder sich merken kann, dann nehmt doch wenigstens den richtigen Vornamen. Einfach Peter. Sicher schon mal gehört. Peter, der Universal-Männervorname aus den 50er- und 60er-Jahren. So heissen alle mit natürlicher Glatze oder grauen Haaren. Wobei, wenn ich mir das so richtig überlege, ist das eine wirkliche Lebensperspektive?

Ausweg aus der Krise

Leben mit einem Vornamen, wie ihn jeder Mann in meinem Alter trägt, und einem Familiennamen, den alle entweder nie verstehen oder sofort wieder vergessen. Wird mich das aus meiner Identitätskrise führen?

Nein, kaum. Dann nennt mich doch lieber Walti Bröblin.